Montag, 4. Juli 2011

Aus dem Tagebuch von Sophie Scholl

9.8.1942

Eben habe ich eine Seite aus dem Heft gerissen, weil sie von Schurik handelte. Warum aber sollte ich ihn aus meinem Herzen reißen? Ich will Gott bitten, daß er ihm den richtigen Platz darin anweise. Darum soll er auch in dem Heft stehen, jetzt wieder. Und jeden Abend will ich ihn, ebenso wie Fritz und all die anderen, in mein Gebet einschließen.

Viele Menschen glauben von unserer Zeit, daß sie die letzte sei. All die schrecklichen Zeichen könnten es glauben machen. Aber ist dieser Glaube nicht von nebensächlicher Bedeutung? Denn muß nicht jeder Mensch, einerlei in welcher Zeit er lebt, dauernd damit rechnen, im nächsten Moment von Gott zur Rechenschaft gezogen zu werden? Weiß ich denn, ob ich morgen früh noch lebe? Eine Bombe könnte uns heute nacht alle vernichten. Und dann würde meine Schuld nicht kleiner, als wenn ich mit den Sternen und der Erde zusammen untergehen würde. -

Das weiß ich alles. Aber lebe ich nicht trotzdem leichtsinnig dahin? O mein Gott, ich bitte Dich, nimm meinen leichten Sinn und meinen eigensüchtigen Willen, der an den süßen, verderblichen Dingen hängenbleiben will, von mir, ich vermag es nicht, ich bin viel zu schwach.

Ich kann es nicht verstehen, wie heute "fromme" Leute fürchten um die Existenz Gottes, weil die Menschen seine Spuren mit Schwert und schändlichen Taten verfolgen. Als habe Gott nicht die Macht (ich spüre, wie alles in seiner Hand liegt), die Macht. Fürchten bloß muß man um die Existenz der Menschen, weil sie sich von Ihm abwenden, der ihr Leben ist.

Da muß ich einen seltsamen Traum niederschreiben, einer von jenen wenigen, die nicht von einem so seltsam bedrückenden Gefühl beherrscht sind:

Ich ging spazieren, mit Hans und Schurik. Ich ging in der Mitte und hatte bei beiden eingehakt. Halb ging ich im Schritt, halb hüpfte ich und ließ mich, von beiden in die Höhe gehalten, ein Stück schwebend mitziehen. Da fing Hans an: "Ich weiß einen ganz einfachen Beweis für die Existenz und das Wirken Gottes auch in der Gegenwart. Die Menschen müssen doch soviel Luft haben zum Atmen und mit der Zeit müßte doch der ganze Himmel verschmutzt sein von dem verbrauchten Atem der Menschen. Aber, um den Menschen die Nahrung für ihr Blut nicht ausgehen zu lassen, haucht Gott von Zeit zu Zeit einen Mund voll seines Atems in unsere Welt, und der durchsetzt die ganze verbrauchte Luft und erneuert sie. So macht er das:" Und da hob Hans sein Gesicht in den trüben, trüben Himmel. Er holte tief Atem und stieß die ganze Luft in seinem Mund heraus. Die Säule seines hervorströmenden Atems war strahlend blau, sie wurde groß und größer und ging weit bis in den Himmel hinein, verdrängte die schmutzigen Wolken, und da war vor und über und um uns der reinste blaueste Himmel. Das war schön.

Sophia Magdalena Scholl (1921-1945) war eine deutsche Widerstandskämpferin gegen die Diktatur des Nationalsozialismus. Sie wurde aufgrund ihres Engagements in der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ hingerichtet. (...) Scholls Briefe und Tagebuch-Aufzeichnungen spiegeln das Bild einer jungen Frau von hoher Empfindsamkeit für die Schönheiten der Natur und von tiefem christlichem Glauben wider. (Quelle: wikipedia)

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