Samstag, 12. November 2011
Wirklichkeit
Auszüge aus Dietrich Bonhoeffer´s, aufgrund seiner Hinrichtung unvollendetem Buch Ethik
Alle sogenannten Gegebenheiten, alle Gesetze und Normen sind Abstraktionen, so lange nicht Gott als die letzte Wirklichkeit geglaubt wird. Daß aber Gott selbst die letzte Wirklichkeit ist, ist wiederum nicht eine Idee, durch die die gegebene Welt sublimiert werden soll, ist also nicht religiöse Abrundung eines profanen Weltbildes, sondern es ist das gläubige Ja zu dem Selbstzeugnis Gottes, zu seiner Offenbarung. Handelte es sich bei Gott nur um eine religiöse Idee, so wäre nicht einzusehen, warum nicht hinter dieser angeblich "letzten" Wirklichkeit auch noch eine allerletzte Wirklichkeit der Götterdämmerung, des Göttertodes bestehen sollte. Nur sofern die letzte Wirklichkeit Offenbarung, das heißt Selbstzeugnis des lebendigen Gottes ist, ist ihr Anspruch erfüllt.
Dann aber fällt an dem Verhältnis zu ihr die Entscheidung über das Lebensganze. Ihre Erkenntnis ist nicht nur ein stufenweises Fortschreiten zur Entdeckung innerer tieferer Wirklichkeiten, sondern diese Erkenntnis ist der Wende- und Angelpunkt aller Wirklichkeitserkenntnis überhaupt. Die letzte Wirklichkeit erweist sich hier zugleich als die erste Wirklichkeit, Gott als der Erste und der Letzte, als das A und das O. Alles Sehen und Erkennen der Dinge und Gesetze ohne Ihn wird zur Abstraktion, zur Loslösung vom Ursprung und vom Ziel. Alles Fragen nach dem eigenen Gutsein beziehungsweise dem Gutsein der Welt wird unmöglich ohne vorher die Frage nach dem Gutsein Gottes gestellt zu haben, denn was sollte ein Gutsein des Menschen und der Welt ohne Gott für eine Bedeutung haben? Da aber Gott als letzte Wirklichkeit kein anderer ist als der, der sich selbst bekundet, bezeugt, offenbart, also als Gott in Jesus Christus, so kann die Frage nach dem Guten nur in Christus ihre Antwort finden.
In Jesus Christus ist die Wirklichkeit Gottes in die Wirklichkeit dieser Welt eingegangen. Von nun an kann weder von Gott noch von der Welt recht geredet werden ohne von Jesus Christus zu reden. Alle Wirklichkeitsbegriffe, die von ihm absehen, sind Abstraktionen. Alles Denken über das Gute, in dem das Gesollte gegen das Seiende oder das Seiende gegen das Gesollte ausgespielt wird, ist dort überwunden, wo das Gute Wirklichkeit geworden ist, in Jesus Christus.
Jesus Christus läßt sich weder mit einem Ideal, einer Norm, noch mit dem Seienden identifizieren. Die Feindschaft des Ideals gegen das Seiende, die fanatische Durchführung einer Idee gegen ein sich sträubendes Seiendes kann dem Guten ebenso fern sein wie die Preisgabe des Gesollten an das Zweckdienliche. Sowohl das Gesollte als das Zweckdienliche empfängt in Christus einen ganz neuen Sinn. Die Unversöhnlichkeit des Gesollten und des Seienden gegeneinander findet in Christus, das heißt in der letzten Wirklichkeit, ihre Versöhnung. An dieser Wirklichkeit teilzunehmen, ist der echte Sinn der Frage nach dem Guten.
Wer Jesus Christus ansieht, sieht in der Tat Gott und die Welt in einem, er kann fortan Gott nicht mehr sehen ohne die Welt und die Welt nicht mehr ohne Gott.
Ecce homo - sehet welch ein Mensch! In ihm geschah die Versöhnung der Welt mit Gott. Nicht durch Zertrümmerung, sondern durch Versöhnung wird die Welt überwunden. Nicht Ideale, Programme, nicht Gewissen, Pflicht, Verantwortung, Tugend, sondern ganz allein die vollkommene Liebe Gottes vermag der Wirklichkeit zu begegnen und sie zu überwinden. Wiederum ist es nicht eine allgemeine Liebesidee, sondern die wirklich gelebte Liebe Gottes in Jesus Christus, die das vollbringt. Diese Liebe Gottes zur Welt zieht sich nicht aus der Wirklichkeit zurück in weltentrückte edle Seelen, sondern sie erfährt und erleidet die Wirklichkeit der Welt aufs härteste. Am Leibe Jesu Christi tobt sich die Welt aus. Der Gemarterte aber vergibt der Welt ihre Sünde. So geschieht Versöhnung. Ecce homo.
Die Gestalt des Versöhners, des Gottmenschen Jesus Christus, tritt in die Mitte zwischen Gott und Welt, tritt in den Mittelpunkt alles Geschehens. An ihr enthüllt sich das Geheimnis der Welt wie sich in ihr das Geheimnis Gottes offenbart. Kein Abgrund des Bösen kann dem, durch den die Welt mit Gott versöhnt wird, verborgen bleiben. Aber der Abgrund der Liebe Gottes umfaßt auch noch die abgründigste Gottlosigkeit der Welt. In unbegreiflicher Umkehrung alles gerechten und frommen Denkens erklärt Gott sich selbst für schuldig an der Welt und löscht damit die Schuld der Welt aus; tritt Gott selbst den demütigenden Versöhnungsgang an und spricht damit die Welt frei; will Gott schuld sein an unserer Schuld, nimmt er Strafe und Leiden, die die Schuld über uns gebracht hat, auf sich. Gott steht ein für die Gottlosigkeit, die Liebe für den Haß, der Heilige für den Sünder.
Ecce homo - sehet den menschgewordenen Gott, das unergründliche Geheimnis der Liebe Gottes zur Welt. Gott liebt den Menschen. Gott liebt die Welt. Nicht einen Idealmenschen, sondern den Menschen wie er ist, nicht eine Idealwelt, sondern die wirkliche Welt. Jesus Christus ist nicht die Verklärung hohen Menschtums, sondern das Ja Gottes zum wirklichen Menschen, nicht das leidenschaftlose Ja des Richters, sondern das barmherzige Ja des Mitleidenden. In diesem Ja ist das ganze Leben und die ganze Hoffnung der Welt beschlossen.
Alle sogenannten Gegebenheiten, alle Gesetze und Normen sind Abstraktionen, so lange nicht Gott als die letzte Wirklichkeit geglaubt wird. Daß aber Gott selbst die letzte Wirklichkeit ist, ist wiederum nicht eine Idee, durch die die gegebene Welt sublimiert werden soll, ist also nicht religiöse Abrundung eines profanen Weltbildes, sondern es ist das gläubige Ja zu dem Selbstzeugnis Gottes, zu seiner Offenbarung. Handelte es sich bei Gott nur um eine religiöse Idee, so wäre nicht einzusehen, warum nicht hinter dieser angeblich "letzten" Wirklichkeit auch noch eine allerletzte Wirklichkeit der Götterdämmerung, des Göttertodes bestehen sollte. Nur sofern die letzte Wirklichkeit Offenbarung, das heißt Selbstzeugnis des lebendigen Gottes ist, ist ihr Anspruch erfüllt.
Dann aber fällt an dem Verhältnis zu ihr die Entscheidung über das Lebensganze. Ihre Erkenntnis ist nicht nur ein stufenweises Fortschreiten zur Entdeckung innerer tieferer Wirklichkeiten, sondern diese Erkenntnis ist der Wende- und Angelpunkt aller Wirklichkeitserkenntnis überhaupt. Die letzte Wirklichkeit erweist sich hier zugleich als die erste Wirklichkeit, Gott als der Erste und der Letzte, als das A und das O. Alles Sehen und Erkennen der Dinge und Gesetze ohne Ihn wird zur Abstraktion, zur Loslösung vom Ursprung und vom Ziel. Alles Fragen nach dem eigenen Gutsein beziehungsweise dem Gutsein der Welt wird unmöglich ohne vorher die Frage nach dem Gutsein Gottes gestellt zu haben, denn was sollte ein Gutsein des Menschen und der Welt ohne Gott für eine Bedeutung haben? Da aber Gott als letzte Wirklichkeit kein anderer ist als der, der sich selbst bekundet, bezeugt, offenbart, also als Gott in Jesus Christus, so kann die Frage nach dem Guten nur in Christus ihre Antwort finden.
In Jesus Christus ist die Wirklichkeit Gottes in die Wirklichkeit dieser Welt eingegangen. Von nun an kann weder von Gott noch von der Welt recht geredet werden ohne von Jesus Christus zu reden. Alle Wirklichkeitsbegriffe, die von ihm absehen, sind Abstraktionen. Alles Denken über das Gute, in dem das Gesollte gegen das Seiende oder das Seiende gegen das Gesollte ausgespielt wird, ist dort überwunden, wo das Gute Wirklichkeit geworden ist, in Jesus Christus.
Jesus Christus läßt sich weder mit einem Ideal, einer Norm, noch mit dem Seienden identifizieren. Die Feindschaft des Ideals gegen das Seiende, die fanatische Durchführung einer Idee gegen ein sich sträubendes Seiendes kann dem Guten ebenso fern sein wie die Preisgabe des Gesollten an das Zweckdienliche. Sowohl das Gesollte als das Zweckdienliche empfängt in Christus einen ganz neuen Sinn. Die Unversöhnlichkeit des Gesollten und des Seienden gegeneinander findet in Christus, das heißt in der letzten Wirklichkeit, ihre Versöhnung. An dieser Wirklichkeit teilzunehmen, ist der echte Sinn der Frage nach dem Guten.
Wer Jesus Christus ansieht, sieht in der Tat Gott und die Welt in einem, er kann fortan Gott nicht mehr sehen ohne die Welt und die Welt nicht mehr ohne Gott.
Ecce homo - sehet welch ein Mensch! In ihm geschah die Versöhnung der Welt mit Gott. Nicht durch Zertrümmerung, sondern durch Versöhnung wird die Welt überwunden. Nicht Ideale, Programme, nicht Gewissen, Pflicht, Verantwortung, Tugend, sondern ganz allein die vollkommene Liebe Gottes vermag der Wirklichkeit zu begegnen und sie zu überwinden. Wiederum ist es nicht eine allgemeine Liebesidee, sondern die wirklich gelebte Liebe Gottes in Jesus Christus, die das vollbringt. Diese Liebe Gottes zur Welt zieht sich nicht aus der Wirklichkeit zurück in weltentrückte edle Seelen, sondern sie erfährt und erleidet die Wirklichkeit der Welt aufs härteste. Am Leibe Jesu Christi tobt sich die Welt aus. Der Gemarterte aber vergibt der Welt ihre Sünde. So geschieht Versöhnung. Ecce homo.
Die Gestalt des Versöhners, des Gottmenschen Jesus Christus, tritt in die Mitte zwischen Gott und Welt, tritt in den Mittelpunkt alles Geschehens. An ihr enthüllt sich das Geheimnis der Welt wie sich in ihr das Geheimnis Gottes offenbart. Kein Abgrund des Bösen kann dem, durch den die Welt mit Gott versöhnt wird, verborgen bleiben. Aber der Abgrund der Liebe Gottes umfaßt auch noch die abgründigste Gottlosigkeit der Welt. In unbegreiflicher Umkehrung alles gerechten und frommen Denkens erklärt Gott sich selbst für schuldig an der Welt und löscht damit die Schuld der Welt aus; tritt Gott selbst den demütigenden Versöhnungsgang an und spricht damit die Welt frei; will Gott schuld sein an unserer Schuld, nimmt er Strafe und Leiden, die die Schuld über uns gebracht hat, auf sich. Gott steht ein für die Gottlosigkeit, die Liebe für den Haß, der Heilige für den Sünder.
Ecce homo - sehet den menschgewordenen Gott, das unergründliche Geheimnis der Liebe Gottes zur Welt. Gott liebt den Menschen. Gott liebt die Welt. Nicht einen Idealmenschen, sondern den Menschen wie er ist, nicht eine Idealwelt, sondern die wirkliche Welt. Jesus Christus ist nicht die Verklärung hohen Menschtums, sondern das Ja Gottes zum wirklichen Menschen, nicht das leidenschaftlose Ja des Richters, sondern das barmherzige Ja des Mitleidenden. In diesem Ja ist das ganze Leben und die ganze Hoffnung der Welt beschlossen.
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