Montag, 4. Juli 2011

Die Geschichte von Nebenwege

Nun sah ich in meinem Traum, daß Christ seinen Weg nicht alleine fortsetzte. Zu ihm gesellte sich ein gewisser Hoffnungsvoll, der Hoffnung geschöpft hatte, als er sah, wie Christ und Getreu sich während ihrer Leiden auf dem Markt in Worten und Taten verhalten hatten. Sie schlossen einen brüderlichen Bund, und Hoffnungsvoll sagte ihm, daß er sein Gefährte sein wolle. So erhob sich, nachdem einer gestorben war, um Zeugnis von der Wahrheit abzulegen, ein anderer aus der Asche als neuer Gefährte für Christ. Hoffnungsvoll berichtete Christ auch, daß nach einiger Zeit noch viele andere Leute vom Markt ihnen folgen würden.

Bald, nachdem sie den Markt verlassen hatten, holten sie ein mann namens Nebenwege ein. Sie sprachen ihn an: "Was für ein Landsmann bist du, Herr? Und wie weit gehst du auf diesem Weg?"

Er komme aus der Stadt Schöneworte, antwortete er, und sei unterwegs zur himmlischen Stadt, doch seinen Namen nannte er ihnen nicht.

"Aus Schönewort", erwiderte Christ, "kann denn von dort etwas Gutes kommen?"

"Ja", sagte Nebenwege, "ich hoffe doch."

"Bitte, Herr", fragte Christ, "wie darf ich dich nennen?"

Nebenwege: "ich bin euch ein Fremder und ihr mir. Wenn ihr auch diesen Weg gehen wollt, freue ich mich, wenn ihr euch mir anschließt; wenn nicht, muß es mir auch recht sein."

"Ich habe schon viel von der Stad Schöneworte gehört", sagte Christ. "ich glaube, man sagt, sie sei eine sehr wohlhabende Stadt."

Nebenwege: "Ja, das kann ich dir bestätigen. Ich habe viele reiche Verwandte dort."

Christ: "Wer sind denn deine Verwandten dort, wenn ich fragen darf?"

Nebenwege: " Fasrt die ganze Stadt, besonders Herr von Rückwärts, Herr von Schöneworte, von dessen Vorfahren diese Stadt ihren Namen bekam; ebenso Herr Aalglatt, herr Januskopf und Herr beliebig; und der Pfarrer unserer Gemeinde, herr Doppelzunge, war der Bruder meiner Mutter väterlicherseits. Wie du siehst, bin ich von gutem Stand, obwohl mein Urgroßvater nur ein Bootsmann war, der in die eine Richtung blickte und in die andere ruderte, und ich den größten Teil meines Vermögens in demselben Beruf erworben habe."

Christ: "Bist du verheiratet?"

Nebenwege: "Ja, und meine Frau ist sehr tüchtig und die Tochter einer tüchtigen Frau. Sie ist die Tochter der Frau von Falschheit, kommt also aus einer höchst ehrenwerten Familie und ist von so geschliffenem Benehmen, daß sie mit Fürsten und Bauern gleichermaßen umzugehen versteht. Sicher, in Glaubensdingen sehen wir manches anders als Leute von strengerer Prägung, aber nur in bezug auf zwei kleine Punkte:
Erstens kämpfen wir niemals gegen Wind und Gezeiten an. Zweitens sind wir immer am eifrigsten, wenn sich der Glaube in seinen Silberschuhen zeigt. Wir gehen gern mit ihm durch die Straßen, wenn die Sonne scheint und die Leute Beifall spenden."

Als er das hörte, trat Christ ein Stück zur Seite zu seinem Freund Hoffnungsvoll und sagte leise zu ihm: Ich glaube fats, das ist ein gewisser Nebenwege aus SChöneworte, und wenn er es tatsächlich ist, dann haben wir einen so üblen Halunken an unserer Gesellschaft, wie er in dieser Gegend nur zu finden ist."

"Frag ihn doch", erwiderte Hoffnungsvoll. "Er wird sich ja wohl kaum seines Namens schämen."

Also wandte sich Christ wieder dem anderen zu und sagte: "Herr, du redest, als ob du mehr wüßtest als der Rest der Welt, und wenn ich mich nicht sehr irre, glaube ich, deinen Namen zu kennen: Bist du nicht Herr Nebenwege aus Schöneworte?"

Nebenwege: "Das ist nicht mein wirklicher Name, sondern nur ein Spitzname, den mir ein paar Leute gegeben haben, die mich nicht leiden können. ich muß mich damit abfinden, daß man mich damit beschimpft, wie es andere gute Leute vor mir auch mußten."

Christ: "Hast du denn den Leuten keinerlei Anlaß gegeben, dich so zu nennen?"

Nebenwege: "Niemals, niemals! Das Schlimmste, was ich je getan habe, um diesen Namen zu verdienen, war, daß ich immer das Glück hatte, den richtigen Riecher für den Zeitgeist zu haben, was immer er war, und mich darauf einzustellen. Doch ich betrachte es als Segen, daß mir das so zugefallen ist. Daß mich böswillige Leute deswegen mit Tadel überhäufen, ist ungerecht."

Christ: "Ich dachte mir schon, daß du der Mann bist, von dem ich gehört habe, und um ehrlich zu sein, ich fürchte, der Name paßt besser zu dir, als du uns glauben machen willst."

Christ: "Nun, wenn du so denken möchtest, kann ich es nicht verhindern. Wenn ihr mich dennoch bei euch haben wollt, werdet ihr in mir einen angenehmen Reisegefährten finden."

Christ: "Wenn du mit uns gehen willst, mußt du gegen Wind und Gezeiten angehen, was doch offenbar deiner Anschauung widerspricht. Außerdem mußt du dich zum Glauben bekennen, auch wenn er in Lumpen geht, nicht nur in Silberschuhen, und dich zu ihm stellen, wenn er in Ketten gelegt ist, nicht nur, wenn er unter dem Beifall der Leute durch die Straßen geht."

Nebenwege: "Du darfst mir nicht vorschreiben, wie ich zu glauben habe. Laß mir meine Freiheit, und laß mich mit euch gehen."

Christ: "Keinen Schritt weiter, wenn du nicht tust, was ich sage, ebenso wie wir."

Darauf erwiderte Nebenwege: "Meine alten Grundsätze werde ich auf keinen Fall aufgeben, denn sie sind harmlos und nützlich. Wenn ich nicht mit euch gehen kann, miß ich alleine weiter wie zuvor, bis ich jemanden treffe, der sich über meine Gesellschaft freut."

Christ und Hoffnungsvoll trennten sich von ihm und gingen voraus, doch als einer von beiden sich umblickte, sah er drei Männer, die Herrn Nebenwege folgten, und als sie ihn einholten, verbeugte er sich tief vor ihnen, und auch sie begrüßten ihn mit ausgesuchter Höflichkeit. Die Namen der Herren waren Halteweltl Geldlieb und Sparmann.

Teil 2 der Geschichte von Nebenwege
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